Mittwoch, Oktober 24, 2007

Musterung

Gestern wurde ich im Kreiswehrersatzamt Kaiserslautern gemustert, ein denkwürdiges Ereignis in meinem Leben, auch wenn ich noch nicht weiß, was mir das Ausfragen, Ausziehen und Abtasten gebracht hat, außer, dass ich jetzt weiß, das meine Haut 2/3 ist und ich keinen Hodenkrebs habe.

Ich habe ja schon mehrere Schreiben von der Bundeswehr bekommen, zum einen, weil ich so dämlich war und die "Infopost" abonnierte, als ich elf war (wegen der Poster) und weil man mich zu meinem 18. Geburtstag für die Musterung vorgemerkt hatte.

Dann kam das Schreiben, das ich gefürchtet hatte, ein hässlich-grauer Umschlag, dick und vollgestopft mit schlecht kopierten Dokumenten, schief und krumm geschnittene Fetzen. Ich will ja das Layout und Design des Schreibens nicht angreifen, aber es sah einfach Scheiße aus.

Allerdings, wäre ein ästhetisch ansprechender Brief in rosigem Umschlag mit einem höflichen, schmeichelnden Wortlaut und leichtem Rosenduft überaus verstörend gewesen. Somit gibt der Musterungsbescheid einem jeden jungen Mann einen ersten Einblick auf die gefühllose, klinische Atmosphäre, die in solch einem Bundeswehramt vorherrscht.
Nix gegen die Leute selbst, die waren alle sehr nett und erschienen mir wie Gefangene, in ihren kalten, spartanischen Zellen/Büros.

Das Kreiswehrersatzamt (welches ich nicht nennen will) liegt in einem alten Stadtteil und die Umgebung ist sicher die Netteste der ganzen Stadt, es ist ruhig und alte Herrenhäuser säumen die Straße. Die Wegbeschreibung erspare ich mir an dieser Stelle ebenfalls.

Ich sprang also aus dem Auto (wurde von meinen Eltern abgesetzt) und hatte keine Schmetterlinge, ich hatte fiese, unruhige Motten im Bauch. Ein wenig nervös lief ich an einem kleinen Fachwerkhaus vorbei, durch das Tor, das an beiden Seiten mit Bundesadler gekennzeichnet war. Man kann es wirklich schwer übersehen, aber es ist auch nicht SO auffällig, wie gesagt, eigentlich eine schöne Lage. Ein paar Schritte den Berg hoch, führt eine Treppe nach links, man trifft auf einen grauen Betonklotz, den die Architekten und Bauherren in den Sechzigern für das Höchste an Baukunst gehalten haben mussten. Rechts davon steht ein hübsches Haus aus der Zeit der Jahrhundertwende. Der graue Klotz ist alles andere als in Würde gealtert, wie es manchem Mann vergönnt ist, wie etwa Sean Connery. Es ist aber auch nicht vermoost, alles ist sauber und funktionell. Aber nichts ist organisch, angenehm anzuschauen und auch nur im Mindesten menschenfreundlich.
Unter einer Brücke hindurch, die die beiden Gebäude verbindet, geht es wieder eine Treppe hoch, wieder links und dann wieder eine Treppe und dann stand ich vor der Glastür.
Ich konnte hineinsehen, sah in etwa zwanzig Meter Entfernung einen jungen Mann auf einer kargen Holz-und-Stahl-Sitzgruppe. Ich ging hinein und war immer noch etwas aufgeregt, auch von den vielen Stufen.
Ein tuntig wirkender grauhaariger, kleiner Mann mit Kinnbärtchen und magenta-rosa Knautschhemd (was ihn tuntig wirken lässt) schaute mich an, ich sagte: "Guten Morgen."
Und er wisperte leise: "Setzen sie sich."
Es brauchte einen Moment, bis ich realisierte, dass das eine Stimme war, die mir gebot mich zu setzen.
Ich setzte mich hin, mochte ja nicht ungehörig erscheinen und meine Beine waren ja doch etwas weich.
Norman setzte sein typisches Lächeln auf. Ein wenig möchte ich damit meine Unsicherheit kaschieren und bin auch gleich entspannter, ich bin Herr der Situation.

Da ich mir vorgenommen habe, einen Bericht darüber zu schreiben, war ich die ganze Zeit über besonders aufmerksam, was die Eindrücke angeht, ich kann mich an viele Einzelheiten erinnern, so saß an der Seite des Kinnbärtchens ein junger Mann von 23-25 Jahren und empfing Anweisungen von dem Hemdchen. Er wusste nicht, was er tat, er klickte und tippte, aber was er da tat, wusste er nicht.
Ich gab einen Zettel ab, wegen der Fahrtkostenerstattung.
Er erfasste die Daten und ich sah mich um und erfasste die Menschen, die hier herumstromerten. Links von mir stand eine Frau, auch nicht älter als der junge Mann oder ich. Sie lachte und lachte und ausschlaggebend muss wohl ich gewesen sein, denn Hemdchen lachte ebenfalls, wobei der junge Mann im weißen und roten Pullover noch immer nicht wusste, was er tat. Er lachte auch nicht.
Der wispernde Kinnbart muss vergeblich versucht haben, mich noch ein paar Dinge zu fragen, aber ich hatte einen weiteren Zu-Musternden entdeckt und "musterte" ihn, er war geformt wie ein klumpen Teig, zweimal geknetet und auf die Arbeitsfläche geklatscht. Er sah nicht gut aus (Wenn ich das überhaupt beurteilen kann). Er war unförmig dick und alles an ihm sah falsch aus, seine Nase schief, seine Beine... darin möchte ich mich jetzt nicht ergehen, aber ich dachte darüber nach, wie man ihn mustern würde.
Im allgemeinen Gelächter, in das ich einstimmte, nachdem man mir deutlich gemacht hatte, worum es ging, stand ich auf und setzte mich zu dem anderen Wartenden auf die sitzgruppe. Es waren etwa 20 Stühle, im Rechteck aufgestellt, um zwei oder drei niedrige Tische, die voller "Infopost" und sonstiger Anwerbungshefte waren. Ich setzte mich und einen Moment später wurde der andere weggerufen, ich würde ihm noch mehrmals begegnen. Damit hatte ich nicht gerechnet, sonst hätte ich mich vorgestellt.
Die Stühle waren wie der Rest der Anlage, alt und abgenutzt. An beiden Seiten hatten sie Bogen und Haken, an denen man sie aneinanderhängen konnte um eine Kette zu bilden, entweder erschien das keinem sinnvoll oder es funktionierte nicht, denn die Stühle waren nicht miteinander verbunden. Ich tendiere zu zweitem, allein vom Augenmaß her.
Kaum hatte ich angefangen an dem Roman "The Gun Seller" von Hugh Laurie (Ja, genau der von Dr. House) weiterzulesen, da kam schon Oberst Fritz H. ein hemdsärmeliger, dicker, alter Mann in Pulli und Jeans und ich folgte ihm in sein Büro. Ich möchte jetzt nicht schon wieder von der rohen, antiquarischen, geschmacklosen Ausstattung, den kargen Räumen, den kahlen Wänden sprechen... aber ich muss.
Mein Gott, war der Raum trübsinnig, ein L-förmiger Tisch aus der Nachkriegszeit und ein IBM-PC, der nicht viel neuer sein konnte. Sein Röhrenmonitor flimmerte mit maximal 60 Hertz augenfressend vor sich hin und er erzählte mir, dass er jetzt alles im Computer hätte und dennoch meine Daten auf einem Formular VON HAND erfassen müsse, weil der Server im Hauptquartier ausgefallen sei. Also trug er alles was er eintragen musste in kleine Kästchen ein und fragte mich die Frage aller Fragen:
"Wollen sie Zivil- oder Wehrdienst leisten?"
Ich saß auf einem Stuhl, der bei jeder Bewegung knarzte, also immer, es sei denn... Nein, er knarzte immer, ein Dauer-Knarzen.
"Mmh. Ich bin unentschieden. Die Arbeit in einem Altenheim ist nix für mich, das kann ich nicht, alten Leuten die Windeln wechseln und so. Andererseits weiß ich nicht, ob die Bundeswehr das Richtige für mich ist."
Ok, genau so habe ich es nicht gesagt, aber es kommt nah an das heran, was ich wirklich gesagt habe.
Ein wenig Smalltalk über Süßstoffallergien (meine) und dann brachte er mich zu einer Glastür, über eine Brücke ging ich nun in das alte Gebäude und dort sollte ich mich wieder auf ein paar geräuschmachende Holzstühle setzen, ich wartete und las wieder ein paar Seiten des spannenden Comedythrillers, bis eine Ärztin mich hereinbat. Sie erklärte mir kurz das Prozedere, ich zog die Schuhe aus und sie maß meine Körperhöhe, 1,79m (so steht's in meinem Personalausweis, ich hatte gehofft in den letzten vier Jahren noch einen Zentimeter gewachsen zu sein, hat nicht geklappt), danach auf die Waage, die Anzeige pendelte sich bei 101,8 kg ein.
"Für die Urinprobe nehmen sie diesen Becher und dann stellen sie ihn auf ihr Namensschild."
Das ging mir alles etwas schnell. Ich sollte in einen Plastikbecher pinkeln und diesen dann auf ein Tablett stellen, auf dem bereits ein Becher stand. Die Füllhöhe von drei Zentimetern erschien mir ehrfurchtsgebietend.
"Ich war heute morgen schon auf dem Klo, ich weiß nicht, ob ich soviel rausbekomme.", versicherte ich ihr.
Sie meinte nur, dass immer etwas gehe. Ich zweifelte daran, ich werde niemals mehr daran zweifeln, dass ich auf Kommando pissen kann. Ich ging also aufs WC, das nebenan lag und sobald ich das Porzellan sah... das muss eine Konditionierung sein, wie die Ratten in der Skinnerbox.
Naja, auf jeden Fall war der Becher dann schnell halb voll und ich machte schon ein doofes Gesicht, so mit einem weißen Becher Ausscheidungsflüssigkeit, die zudem warm war. Ich stellte den Becher auf das Tablett und war froh, es los zu sein. Ich musste an Howard Hughes denken, kurz zuvor hatte ich seine Biographie gelesen, in der stand, das er die letzen zwanzig Jahre seines Lebens in Einmachgläser urniert hatte und diese auch auf Reisen immer mittransportieren ließ. Ein sehr interessanter und verstörender Mann, dem Liebschaften mit allen Starlets Hollywoods nachgesagt wird (und Stars wie Cary Grant, der viele Jahre lang sein engster Vertrauter und Geliebter war) wer mehr über den Flugpionier, Misanthropen, Filmproduzenten und Politaktivisten erfahren möchte, der Schuld daran ist, dass John Wayne an Krebs starb, der sollte sich das Buch "Das geheime Leben des Howard Hughes" von Charles Higham kaufen. Man findet das Buch sehr häufig in Remittenden-Krusch-Kisten im Supermarkt, dort ist es für knapp 3 Euro ein lohnenswertes Schnäppchen.
Wieder kam ich dazu eine oder auch zwei Seiten im "Waffenhändler" zu lesen. Das Buch ist EXTREM vergriffen und nicht mehr auf Deutsch erhältlich, derzeit geht es bei eBay für fast 500 Euro über den virtuellen Ladentisch. Ich habe mir daher das englische Original gekauft und gute 490 Euro gespart und zudem mein Englisch damit weiter aufgebessert.
Nächstes Jahr soll eine neue Auflage folgen, mit dem mir unsinnig erscheinenden deutschen Titel "Bockmist", wahrscheinlich weckte der Titel "Waffenhändler" zuviele negative Assoziationen bei den Verlagsmitarbeitern.
Trottel.
Allemittenander.
Ok, zurück zur nächsten Abteilung.

Eine jüngere Ärztin huschte mehrmals vorbei und zu ihr kam ich dann auch um meine sensorischen Fähigkeiten messen zu lassen, Sehen und Hören. Ich verstand es als Wettstreit und bemühte mich echt so schnell wie möglich auf die Signale zu reagieren, die sie mir mit dreißig Jahre alten, roten Kopfhörern vorspielte. Die technische Ausstattung erinnerte mich an die Station "Die Perle" aus "Lost".
Gruselig.
Hier habe ich gut abgeschnitten.
Wieder eine kurze Wartepause und diesmal erhielt ich einen Anruf von Arbeit, ich konnte nicht laut sprechen, da das alte Gewölbe im Gang schallte wie eine römische Katakombe (ich muss es wissen). Ich kam mir doof vor und fragte mich, was die Anruferin wohl dachte. Wahrscheinlich, dass ich doof BIN, weil ich nur "Ja", "Ja" und "Mmh" sagte und das leise und kurzsilbig, um die Frequenz niedrig zu halten. Zumal ich von den Tests doch ein wenig eingeschüchtert war und mein Handy hätte ausschalten müssen, was mir Schilder an den Wänden mehr als nur einmal klarzumachen versuchten.
Der andere Typ, den ich bereits erwähnt habe, kam aus dem letzten Zimmer, in dem ich noch nicht war und er strahlte, er jubelte:

"Ich bin ausgemustert."
Lakonisch entgegnete ich ihm: "Gratulation."
Er ging, meine Anwesenheit bedeutete ihm nichts, seine mir ebenfalls nicht. so ist das, jaja. Zwei Fremde in einem Raum...
Einen Moment später bat mich ein dunkelhaariger Mann in sein Zimmer, ich trat ein. Ein nahezu quadratischer Raum und dabei sehr hoch, so, dass er fast kubisch war.
Ich stand in einem Würfel und bewunderte die Architektur, was ich auch laut sagte.
Was mir einen Kommentar einbrachte, von wegen: "Wem's gefällt."
Zwei Schreibtische, die über Eck aufgestellt waren. Einer für den Arzt, einer für die Assistentin, die jede Benotung und Bemerkung des Arztes in ihrem Computer protokolliert.
Die Assistentin kam mir bekannt vor, ihre Haut... war es Sonnenbräune? Wer weiß, sie hatte auf jeden Fall einen Stecker in der Oberlippe, von mir aus gesehen rechts.
Meine Erinnerung ist längst nicht mehr so frisch, ich weiß nicht mehr, was als erstes geschah. Irgendwann trat er von der Liege weg, nachdem er eine Lage Krepppapier über sie gespannt hatte. Ich zog mich zu irgendeinem Zeitpunkt aus und irgendwann beantwortete ich seine Fragen.

Gerade hab ich überlegt und es muss so gewesen sein, dass ich mich zunächst bis auf die Unterhose auszog.
"Stellen sie sich da hin, Beine dicht beisammen.", sagte er und ich weiß nicht einmal mehr, ob er eine Brille trug, zumindest ist mir keine aufgefallen. Wenn, dann war es ein unauffälliges Gestell.
Ich kam mir ein wenig vor wie ein Mastbulle bei der Fleischbeschau.
Er begutachtete zunächst meine Körperhaltung und dann stellte er sich hinter mich und tastete meine Schultern und den Rücken ab, besonderes Augenmerk war auf mein Hohlkreuz gerichtet.
"LWS 3/4", meinte er dazu.
Ich sollte mich nach vorn beugen, zur Seite, zur anderen Seite. Er klopfte einige Nervzentren ab, ob mir dies oder jenes weh

tat. Nichts tat weh. Es war nicht so unangenehm wie es hätte sein können.
Dann bat er, dass ich mich hinlegte, er überprüfte nun die Beweglichkeit der Beine.

Zu einem anderen Zeitpunkt saß ich auf dem Stuhl und er klopfte und drückte meinen Kopf ab, auch hier keine Besonderheiten.
"Zum Abschluss möchte ich noch ihre Hoden untersuchen.", sagte er. "Drehen sie sich ein wenig zu mir."
Ich hätte auch vor der Frau die Hose runtergelassen, wenn er das gewollt hätte, war aber froh, dass ich mich wegdrehen konnte.

Ein kurzer Griff, zweimal sanfter Druck, hey, der Kerl macht das den ganzen Tag. "So, dann können sie sich wieder anziehen."
Ich beeilte mich mit dem Anziehen und vergaß mein Unterhemd, musste das graue Langarm-T-Shirt wieder ausziehen.
Dann kam die Nachbesprechung.
Vor der Untersuchung hatte er mir bereits ein paar Fragen gestellt, was, weiß ich nicht mehr genau.
Jetzt ging es um meine Krankheiten, welche Kinderkrankheiten ich hatte, welche Krankheiten in der Familie, bei meinen Eltern oder Großeltern vorgekommen sind. Psychische Störungen?
Nee, alles super.
Mann, ich kam mir vor wie der Supersoldat. Genau das, was ich nicht wollte!
Keine erbliche Vorbelastung.
Keine schlimmen Sachen.
Natürlich ist das toll, aber ich hatte gehofft ausgemustert zu werden.
Etwa: "T5, tut mir leid, sie sind ein unnützer Bastard. Wir würden sie nicht einmal als Dämmmaterial unserer Leopard-Panzer einsetzen. Genaugenommen würde ich sie nichtmal an die Nachbarhunde verfüttern, die ich gerade hüte."
So wird es wahrscheinlich nicht kommen.
Ist das nun gut oder schlecht?

Im Vorfeld hatte ich panische Angst und machte alle verrückt, meine Vorgesetzten auf Arbeit, meine Ärzte, meine Mutter.
Mich.

Ich berichtete ihm von meinen Knochenbrüchen, Verstauchungen, allen Kram. Alles wurde aufgenommen und jetzt weiß ich, dass ich da einiges getan habe, um besser dazustehen. Ich habe gelacht und gescherzt, habe meine Allergien damit runtergespielt. Die interessierten ihn auch, er meinte aber nur, ich müsse ja keine Erdnüsse essen und Süßstoff sei ein Luxusartikel.
Er schickte mich zum Empfang zurück.

Das Gebäude hätte mir Angst gemacht, wenn es finsterer gewesen wäre, leere Korridore, kühle, muffige Luft und keine Menschenseele. Ich verlief mich fast und war kurz orientierungslos, ich habe gerade Probleme mir die verwinkelten Gänge und Abzweigungen räumlich vorzustellen.
Auf jeden Fall war ich sehr froh, endlich wieder am Empfang zu sein. Hemdchen und Pullover waren auch da und sie sahen mich entgeistert an, als hätten sie nicht oder nie mehr mit mir gerechnet. Ja, wer weiß, was die Angestellten im Kreiswehrersatz in der Kantine essen?
Ist es unfair, Fritz H. und seine Kollegen als Kannibalen zu bezeichnen?
Ja, durchaus und das auch noch völlig unbegründet.
Ich bin müde.
Wenn ich müde bin, schreibe ich nur noch Scheiß'!
Ich höre gerade Jack Johnson, schön entspannend, würde ich nicht tippen, würde ich echt einschlafen, ich muss ein Gähnen niederringen.
Zurück zum Bericht.
Reiß dich am Riemen, Norman!

"Wie geht es jetzt weiter?", frage ich forsch.

Ach ja, der Zeitensprung ist gewünscht, bringt mehr Abwechslung in die Erzählung. Äußerst unprofessionell, ich weiß, aber ich nenne es Stilmittel und das ist ganz sicher eines meiner Stilmittel. Meine schriftstellerische Werkzeugkiste reicht nur für ein paar bescheidene Improvisi-Improvisitio-Improvisitatio-Impro-ach-Fuck-Improvi-ich-hänge-gerade-echt--improvisieren-Improvisation-Improvisationen.

Na endlich.

Ich bin schon wieder RAUS!
Keine Konzentration mehr.
Verdammt.

Ich fang noch mal an.

"Wie geht es jetzt weiter?", frage ich forsch.
Hemdchen wispert etwas von einem Abschlussgespräch. Ich laufe ein wenig herum und dann kommt er:
Gefreiter Sevnovcivci (oder so, auf jeden Fall slawisch und mit vielen v und c) sprach mich an und ich befürchte das Schlimmste, als er fragt: "Bist du Student?"
Ich versuche jetzt mal den Dialog wiederzugeben.
Norman: "Student?"
Senvocvici: "Mmh."
Norman: "Wieso?"
Sevcivcivicvi: "Du kommst mir so entspannt vor."
Ich ziehe eine Grimasse, die meinen Unglauben zeigen soll.
Norman: "Ach ja? Das liegt sicher an der Tasche."
Ich deute auf meine braune Messenger-Bag.
Svenvici: "So locker und so."
Er imitiert mich und stellte sich entspannt hin, das macht er gut, glaube ich.
Und da durchschaue ich den Gefreiten Snvevicin, er war dazu abgestellt, den Gemusterten Honig um den Mund zu schmieren, ihnen gut zuzusprechen.

Und wieder in Vergangenheitsform:

Ich las das in Snicvics Augen.
Ich setzte mich auf eine Holzbank und - oh, Wunder - sie gab keinen Ton von sich, wahrscheinlich hatte sie aufgegeben, sich gegen ihre Funktion zu sträuben. Schwächling!
Senovic stellte mir die Frage aller Fragen: "Willst du Zivildienst machen oder zum Bund gehen?"
Norman: "Oh, ich bin unentschieden."
Meine Standardantwort, ein Running Gag wie mir schien, wäre dies eine Realityshow.
Oh, wie ich diese Realityshows hasse!
Sevivic: "An deiner Stelle würde ich zum Bund gehen."
Ich verkniff mir, ihm zu sagen, dass er das getan hatte.
Ab da hatte ich mein Urteil über Svivecin gebildet und ich spielte mit ihm.
Er machte nur seinen Job, klar, aber ich hab etwas gegen Manipulation.
Ich fütterte ihn in den nächsten Minuten mit widersprüchlichen Aussagen und er nahm sie nicht wahr. Egal was ich sagte, egal wie sehr ich ihn "dummlaberte", er bekam es nicht mit, weil er einzig und allein mit mir sprach, um mich zum Bund zu bekehren.
Hab ich euch schon mal gesagt, wie sehr ich das Missionarstum hasse?
Anderen eine Meinung aufzuzwingen?
Ich sagte ihm zum Beispiel, dass Uniformen nicht meine Sache wären und dann fragte ich ihn mehrmals, ob man die Kleidung nach der Dienstzeit behalten kann, sie würde mir gefallen und das wäre genau mein Kleidungsstil. Wenn der Bund mich dann nehmen sollte, müsste ich mich nicht sonderlich umstellen.
Pah!
Gut, vielleicht stand er auch einfach auf mich...

Mickey Blue Eyes unterbrach uns und bat mich in sein Büro und ich nenne ihn so, weil seine blauen Augen alles waren, was mir in Erinnerung geblieben ist. Er hatte unwahrscheinlich blaue Augen in seinem dunklen Gesicht (schwarze Haare, ganz klar arisch-fälische Rasse, wie aus dem Geschichtsbuch, das wir in der 10. Klasse hatten).
Auch er fragte mich die Frage aller Fragen und ich gab meinen Running Gag von mir.
Es war echt nicht lustig, aber ich amüsierte mich trotzdem.
Sein Büro war öde wie das All jenseits des Jupiter. Es gab nichts zu sehen, also blickte ich auf seinen Monitor. Ich hörte ihm nicht mehr zu, als er mir von Psychotests und so erzählte, die ich noch vor mir hätte. Ich hab keine Ahnung, was er noch sagte, aber ich hab irgendetwas unterschrieben. Ich sah mich so um und da schaute ich auch auf seinen Laserdrucker.
Da stand doch tatsächlich: "Ausgesondert 09-2005"
Der Drucker war doch tatsächlich seit über zwei Jahren nicht mehr im Bestand der BW weil er eigentlich in den Müll gehörte. Ich sprach ihn darauf an und er zog dann vom Leder, ließ sich richtig über den "Verein" aus und wie schlecht alles ist. Angesichts des flackernden Bildschirms, der in seiner Monumentalität sogar Deep Thought in den Schatten stellte, konnte ich ihm nur zustimmen. Die ganzen Geräte hätten sie seiner Aussage nach mit nach Afghanistan nehmen können, dort hätte man sie in den Schulen verwenden können. Ich stimmte ihm zu und sagte, dass es allein aus Kostengründen, wegen Stromeinsparung, sinnvoll wäre auf Flachbildschirme umzusteigen. Er lachte: "Ja, natürlich, ich weiß. Aber die BWI stellt ja nur die Geräte bereit, denen ist es egal, wieviel Strom sie verbrauchen."
In der Hochburg der deutschen Demokratie stieß ich wieder auf ihre Grenzen, wohin die Dezentralisierung führen kann. Natürlich war es dann ein leichtes von der Ausgliederung der Computerbestände auf ein eigenes Unternehmen, zu der Privatisierung der Post, der Telekom und der Bahn zu kommen. Wir pushten uns gegenseitig und hetzten noch ein paar Minuten lang gegen Staat und Demokratie, so nahe an einem Regierungssturz war das Kreiswehrersatzamt noch nie!
Als Nächstes muss ich jetzt zum Orthopäden um meine LWS noch mal überprüfen zu lassen. Womöglich war es das noch nicht, wir werden sehen.

Montag, Oktober 01, 2007

Unterbewusst gab es da etwas, dass mich wochenlang von der Arbeit an meinen Projekten abgehalten hat. Es war eine kleine Sinnkrise, ich wusste nicht mehr für wen und warum ich schreibe.

Ich wurde von Bekannten und Schulkameraden gefragt, warum ich schreibe, wenn ich denn nichts veröffentliche. Warum ich nichts an Verlagshäuser geschickt hätte. Sie meinten, dass sei doch sinnlos. Und ich konnte nur darauf antworten, dass meine Bücher bisher nicht gut genug waren, um verkauft zu werden. Für "Isla Hupia" traf dies sicher zu und schon bei diesem ersten Buch hatte ich zudem das Problem, dass ich aus rechtlichen Gründen keine Veröffentlichung anstreben konnte. Es handelt sich ja um eine Fortsetzung von Jurassic Park und ich habe mich großzügig bei Michael Crichton bedient. Ich besitze ja keine Rechte an Crichtons Geschichte und deren Charaktere.

In meinem zweiten Roman "MaryJanes Son" hatte ich dieses Problem nicht, er entstammt komplett meiner Feder, ich habe für ihn nirgends abgekupfert oder bereits existierende Figuren verwendet. MJS ist kein schlechtes Buch, wie ich finde, es hat so ziemlich alles, was ein guter Roman braucht. Es gibt starke Charaktere, die lebendig sind, die Handlung ist spannend und actionreich, es gibt Intrigen und Schießereien und worauf ich besonders stolz bin, eine einfühlsame Liebesbeziehung. Doch jeder Versuch es zu überarbeiten ist bisher gescheitert, ich hatte zunächst versucht MJS als Mehrteiler anzulegen, hatte eine mysteriöse Rahmenhandlung entwickelt und dafür das Buch künstlich aufgebläht, was ihm nicht gut bekam. Ich brach es ab und jetzt habe ich gar nichts, weder die alte Fassung ist korrigiert, noch die neue aufgeblähte, seelenlose Fassung.
Ich habe jetzt herausgefunden, was MJS fehlt. Ich muss es zusammenkürzen, ich muss all diese unnatürlichen Einschübe, die mehr von der zurückliegenden Geschichte der Hauptfigur Johan van Nistelrooy verraten, entfernen. Ich glaube, dass was MJS ausmacht, ist dieses Geheimnis um seine Herkunft und man darf nicht zuviel darüber wissen.

Ich weiß jetzt wieder, dass ich nur für mich schreibe und das ist das Wichtigste überhaupt, dass ich mir treu bleibe und meine Bücher nicht verschandele, nur um sie massentauglich zu machen. Sollte es jemals jemanden geben, der die Bücher liest, wird er genau das daran zu schätzen wissen, dass es MEINE Bücher sind, dass niemand anderes sie hätte so schreiben können wie ich es getan habe.
Darauf musste ich jetzt erst einmal wieder kommmen, diese Erkenntnis verdanke ich Andreas Eschbach. Mit den vielen Tipps zum Schreiben auf seiner Homepage, hat er mir immer wieder geholfen.

Mein dritter Roman "Kimali" hatte ein Problem, das ein wenig anders gelagert ist. Begonnen als Kurzgeschichte hat "Kimali" sich zu einem über 500-seitigem Roman entwickelt, zu einem James Bond-Roman und jetzt hatte ich wieder das altbekannte Problem.
Ich darf den Namen des großen Geheimagenten nicht verwenden!
ES war mir die ganze Zeit egal, aber nachdem das Buch so GUT geworden ist, habe ich wieder die Hoffnung etwas geschrieben zu haben, dass sich verkaufen ließe, das wirklich so gut ist, dass ich mich niemals dafür schämen könnte.
"Kimali" hat alles, was ein Bond-Roman braucht und das in Fülle, es gibt Action, Spannung, schöne Frauen und einige Überraschungen die auch mich verblüfften, als sie sich auftaten. Ich bin sehr stolz auf "Kimali".
Auf die Lösung für dieses Problem hat mich auch wieder Andreas Eschbach gebracht, wofür ich ihm sehr dankbar bin:
Ich brauche den Namen nicht!
Mein Held hat nur wenig mit Ian Flemings James Bond zu tun und das war Absicht, ich wollte den Mythos abschütteln und ihn zu den Ursprüngen zurückbringen, denn ich bin ein Fan der Fleming-Romane. Ich brauche den Namen für meinen Helden nicht, doch in Anlehung an die übliche Praxis, Agenten in Bond-Manier, die Initialen JB zu verpassen (Jack Bauer, Jason Bourne), wird meine Hauptfigur Jérôme Beaumont heißen.
Ein wagemutiger Schritt, da er viele Umbauarbeiten bedeutet, aber er ist notwendig um "Kimali" eigenständig und lebensfähig zu machen.
Ich darf mich nicht mehr davor scheuen... ich werde es tun. "Strg" & "H", ersetze "James" durch "Jérôme", ersetze "Bond" durch "Beaumont".
Puh, es ist erledigt, naja, nicht ganz, es müssen im Text alle Bezüge auf den MI6 und Beaumonts Vergangenheit als Bond vernichtet werden. Handarbeit und natürlich grammatikalische Anpassungen.
Jérôme Beaumont.
Der Name selbst kam mir einfach in den Sinn und da er die Initialen trägt, werde ich ihn nutzen. Beaumont ist der Autor des Romans, den ich gerade lese und Jérôme war einfach da, als ich dachte, dass Beaumont der Nachname meines Heldes sein könnte.
Die Entwicklung des Namens war also ein organischer Prozess und das macht ihn glaubwürdig, ich habe ihn aus keinem Telefonbuch und habe ihn nicht lange konstruiert und wenn ich jetzt so durch den Text scrolle und ihn lese, weiß ich nicht mehr, warum da vorher James Bond stand.
So wird "Kimali" zu einer Hommage, kein hoffnungsloser Abklatsch mehr.
So wird "Kimali" bereit für die Fortsetzung "Mitakuku", die als Bond-Roman sicher nicht so gut funktioniert hätte, wie sie es als "Raubtier-Roman" tun wird.