Montag, Mai 31, 2010

Rezension zu “Alice on Speed” von Sebastian Keller


Kürzlich rief Sebastian Keller, der Autor der "Memphisto"-Pentalogie, auf seinem Blog dazu auf, für ihn eine Rezension zu verfassen. Er schickte mir also seinen Roman "Alice on Speed" und ich las ihn innerhalb einer Woche.
Dies ist die Rezension. image

Ich halte das Buch gerade in Händen, es ist schmal, kein dicker Wälzer, liegt angenehm in der Hand. Die Coverillustration ist hypnotisch, man kann sie nicht lange anschauen, aber das ist so gewollt und es gibt einen Ausblick darauf, was einem in dem Buch erwartet.
Dieses kleine Vorschaubild, wird dem Design nicht gerecht.

Schon das Cover ist eine Herausforderung von Sebastian Keller an seine Leser.

"Alice von Speed" ist eine Amalgamierung von verschiedenen Werken der westlichen Literatur und wie schon der Titel andeutet, findet sich nicht wenig von Lewis Carrols "Alice im Wunderland" wieder. Da wäre zum Beispiel das Motiv des unschuldigen Mädchens, das in einer unheimlichen, verwirrenden Welt eintaucht. Eine weitere wichtige Quelle ist Goethes "Faust", das Keller gerne zitiert und sogar in die Handlung einflechtet, auf eine Art und Weise die an Dreistigkeit und Mut kaum zu überbieten sein dürfte.

Ich habe einige kritische Punkte aufzuzählen und der Leser möge davon nicht abgeschreckt werden, schließlich handelt es sich nur um die Meinung EINES anderen Menschen. Außerdem ist hinzuzufügen, dass dies ein Erstlingswerk ist!

Mein erster Roman sollte auch mal so eine ernste Rezension erfahren! Sebastian…?

Betrachten wir zunächst die Hauptfigur Felix Knecht. Dieser ahmt Menschen so gut nach, dass er sogar deren Denkweise übernehmen kann, sagt der Klappentext.

Da liegt der Hund begraben, das Hauptproblem, dass ich mit dem Roman habe.

Ein Mensch ohne eine eigene, starke Persönlichkeit, der die Eigenheiten anderer Menschen wie ein Schwamm aufnimmt, ist ein denkbar ungeeigneter Hauptcharakter, da er sich aufgrund seiner Eigenartigkeit überhaupt nicht als Identifikationsfigur eignet.
Ein Leser sucht eine Figur, die ihm Interpretationsfläche für sich selbst dient. Ohne diese Verbindung baut sich keine persönliche Beziehung auf.

Das wäre ja zu verschmerzen, könnte man mit einer anderne Person mitfühlen. Trotz einer erfolgenden Erläuterung der Empfindungen und Einblicke in die Gedanken der Figuren bleibt die Seelenwelt unergründet und nicht nachfühlbar.
Eindimensionale Figuren, das Gegenteil von dem, was ein "Charakter" sein sollte.

Es ist geradezu tragisch!

Die Figuren waren mir egal. Ihre Geschicke waren mir egal und das darf nicht sein, man muss sie hassen oder lieben. Oder beides.

Manchmal hab ich einfach nur den Kopf geschüttelt, da die Charaktere nicht nachvollziehbar handelten. Es mag sein, dass das in einem gewissen Rahmen gewünscht und erforderlich für den Roman ist, der ja mit Verwirrung und Chaos kokettiert, aber überhaupt nicht verstehen zu können, warum die Figuren etwas tun, manchmal etwas Dummes und Sonderbares, ist keine gute Voraussetzung für Lesespaß, Spannung und Interesse.
Ich bin noch nie so oft bei einem Buch eingeschlafen und das ist kein Witz. Leider.

Die Motivation hinter Allem bleibt mir verschlossen. Worum geht es?
Der Plot ist mit heißen Nadeln lose gestrickt, er erscheint bedeutungslos, es gibt japanische Musikproduzenten, deutsche Naziwissenschaftler, allerlei schräge Typen und alternative Rockbands, die ganz seltsames Liedgut haben, das Sebastian Keller uns auch nicht vorenthält, nein, er bringt es in voller Länge ein.
Weniger wäre hier mehr gewesen.
Etwas mehr Humor hätte dagegen nicht geschadet.
"Alice on Speed" ist nämlich bierernst und weitestgehend spaßfrei.

Zur Sprache. Sie bietet einen Kontrast zur Handlung. Sie ist distanziert und kühl, konservativ und hat starke Manierismen, es kommt mir so vor, als hätte das Buch niemand gegengelesen und Keller es nicht einmal mehr überarbeitet.
Ich kann nur wieder sagen, dass ich annehmen muss, dass das so gewollt ist. Es muss einfach gewollt sein, da es so zwanghaft ist, was die Figur des Knecht widerspiegelt. Manche Formulierungen finden sich immer wieder. Es ist natürlich möglich, dass das alles zum Konzept gehört.
Aber wie gesagt, erschließt es sich mir nicht.

Was ich aber wirklich hervorheben muss, sind die verschenkten Möglickeiten!

Sebastian Keller hat die Szenen schwach inszeniert, farblos und besonders bei den Actionsequenzen wird das deutlich.
Been here done that.
Er hakt die spaßigen Sachen ab, Verfolgungsjagden, Schießereien, etcetera und ergeht sich dann wieder in Betrachtungen der abstoßenden, bemitleidenswerten Figur des Felix Knecht.

Desweiteren hat mich gestört, dass alles beliebig austauschbar ist, es ist egal wo etwas spielt, ob Japan oder Deutschland. Länder und Orte sind nicht auszumachen, da es praktisch keine Details zu lesen gibt, die einen Unterschied deutlich machen würden.

"Alice on Speed" begeht aber noch einen weiteren Fehler: Er ist zu zahm, zu zurückhaltend.
Ich hätte mehr Sex und Brainfuck begrüßt und dann hätte ich auch den Vergleich mit Robert Anton Wilsons und Robert Sheas "Illuminatus-Trilogie" gerne gezogen. Denn in die Richtung bewegen wir uns schon.
Etwas drastischer hätte es sein müssen, um die Türen zum Wahnsinn aufzustoßen, die Keller hier ganz offensichtlich suchte.
Ich mochte "Illuminatus" überhaupt nicht, aber ich konnte den Anspruch der beiden Autoren an sich selbst erkennen.

Mein Fazit ist, "Alice on Speed" will verrückt und abgedreht sein, verwirrt aber nur und ist voller verschenkter Möglichkeiten.

So, Sebastian, ich hoffe diese ehrliche, harte und wenig nachsichtige Kritik hilft dir dich zu verbessern, denn darum geht es. Wir wollen immer besser werden, Stagnation ist nicht so schlimm für einen Schriftsteller wie Dan Brown, aber wir haben ja einen künstlerischen, ästhetischen Anspruch ;-)

Jetzt lest den Text nochmal und stellt euch vor Marcel Reich-Ranicki würde sprechen :D